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Warum digitale Mündigkeit so wichtig ist

VON ANTONIA BOREK

Alle reden davon, dass unsere Welt digitaler wird: Autos fahren eigenständig, Haushaltsmaschinen kommunizieren miteinander und Algorithmen werden in der Lage sein, auf Bedürfnisse von uns zu reagieren, derer wir uns selbst noch gar nicht bewusst sind. Laut einer Studie von McKinsey werden bis 2030 durch die zunehmende Automatisierung 800 Millionen Jobs weltweit durch Roboter ersetzt und 50 Prozent unserer Tätigkeiten automatisiert werden können.

Wir brauchen kreative Problemlöser

Die gute Nachricht ist, dass gleichzeitig eine Vielzahl an neuen Jobs entsteht oder bereits bestehende Tätigkeiten an Relevanz gewinnen. In Deutschland stehen zwei Berufsgruppen besonders im Fokus: Pflege- und Technikberufe. Und schon jetzt gibt es einen chronischen Mangel gut ausgebildeter Kräfte an beiden Stellen. Während die Pflege durch zu niedrige Bezahlung unattraktiv gemacht wird, werden die technischen Berufe zwar hoch vergütet, allerdings fehlt es hier noch an entsprechend attraktiven und sinnvollen Ausbildungsmöglichkeiten, wie beispielsweise das Angebot der CODE University in Deutschland.

Aber nicht nur IT-Fachkräfte müssen ausgebildet werden – auch alle anderen Berufe werden sich grundlegend verändern: In nahezu jedem Umfeld werden zukünftig technische Grundkenntnisse vorausgesetzt, um zum einen digitale Hilfsmittel kompetent nutzen zu können, zum anderen aber auch, um technische Zusammenhänge verstehen und Schlüsse daraus ziehen zu können. Es werden zunehmend andere Fähigkeiten gefordert: Statt Arbeitnehmern, die Dienst nach Vorschrift machen, brauchen wir in Zukunft kreative Problemlöser.

Wir müssen die Zukunft gestalten wollen

Das Tolle ist, dass Technologie jeden von uns befähigt, pragmatische Lösungsansätze als Antworten auf Probleme, die die Welt bewegen, zu entwerfen: Mit Share the Meal kann man per Klick einem hungernden Kind eine Mahlzeit finanzieren. 3D-Druck ermöglicht die kostengünstige Produktion von Prothesen und Scholly schafft Transparenz bei Stipendien und beseitigt so eine Barriere auf dem Weg zum Studium. Und das ist nur ein winziger Bruchteil aller Beispiele, die bereits auf dem Markt sind und vor allem derer, die noch kommen werden.

Doch wie sollen wir in der Lage sein, solche Lösungen zu entwickeln, wenn wir uns der Technologie verwehren, sie verteufeln und so die gesamte Verantwortung aus der Hand geben? Wie sollen wir mündige Bürger in einer technologisierten Welt sein und bleiben, wenn wir uns nicht mit ihr beschäftigen? Die Frage, die wir alle uns stellen müssen, ist doch: Möchte ich reiner Konsument von Alexa, Siri und Co. sein oder ist es mein Anspruch, die Zukunft mitzugestalten?

Digitale Grundfähigkeiten in die Schule

Deutschland steht jetzt vor der großen Herausforderung, seine Kinder entsprechend auszubilden, ihnen die Fähigkeiten, die sie in 10 bis 15 Jahren benötigen, zu vermitteln und sie somit auf neue Gegebenheiten vorzubereiten. Wenn man sich aber in Deutschlands Schulen umsieht, sieht es noch genauso aus wie vor 50 Jahren: Frontalunterricht, Wissensmonopol bei der Lehrkraft, Kreidetafeln, Computerräume, in denen die Bildschirme so tief wie breit sind – von technischer Grundausstattung wie WLAN ganz zu schweigen. Es ist aber nicht nur die fehlende IT-Infrastruktur, sondern auch fehlendes Bewusstsein bei den Lehrkräften. Ein digitales Mindset müssen die meisten erst noch entwickeln. Zu viel Angst vor der Technik hindert viele daran, Laptops und Tablets als Werkzeuge zu begreifen, die bei der Wissensvermittlung helfen können. Dabei kann man ihnen zumeist gar keinen Vorwurf machen – sie bekommen es weder im Studium vermittelt, noch gibt es ein obligatorisches Fortbildungsangebot.

Das führt dazu, dass in den wenigsten Schulen digitale Grundfähigkeiten einen Platz haben. Die inhaltliche Bandbreite, die es zu vermitteln gilt, reicht von Ethik der Medien bis Computational Thinking und Programmieren. Die Fähigkeit, digitale Medien kreativ und zum Zwecke der Wissensvermittlung einzusetzen, gehört genauso zu den Kompetenzen, die unsere Kinder benötigen, wie die Differenzierung, wann Technologie als Werkzeug Sinn macht und zu welchem Zeitpunkt Stift und Papier das sinnvollere Hilfsmittel sind.

„Digital“ ist mehr als im Internet surfen

In unserer Arbeit mit Schulklassen in den Digitalwerkstätten vermitteln wir genau das. Durch eine offene Lernumgebung, Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder und eine kreative Herangehensweise an Problemstellungen, werden so auch wichtige Metakompetenzen wie eine gesunde Fehlerkultur, Teamarbeit, Experimentierfreude, Problemlösekompetenz, Frustrationstoleranz sowie strukturiertes Denken und eine präzise Kommunikation vermittelt. „Digital“ ist also mehr als im Internet surfen. Digitale Kompetenz befähigt Menschen, sich selbstbestimmt und aktiv in einer neuen Welt zurechtzufinden. Daher muss ebendiese als Querschnittsdisziplin in den Schulen vermittelt werden. Und zwar ab der ersten Klasse.

Momentan ist dies aber noch Wunschdenken. Dabei ist die Schule der einzige Ort, an dem wirklich alle Kinder erreicht werden und deshalb ist es so wichtig, sie so zu gestalten, dass Kinder Spaß am Lernen haben und die richtigen Kompetenzen vermittelt bekommen. Denn Bildung ist nicht nur der Schlüssel zu Wachstum und Innovation, sondern auch und insbesondere zu Integration und sozialer Gerechtigkeit. Und doch befinden wir uns in Deutschland in Bezug auf digitale Bildung im internationalen Vergleich maximal im Mittelfeld. In Estland wurde bereits 2012 Programmieren als Grundschulfach ab der ersten Klasse eingeführt. Unsere Nachbarn, die Niederlande, zählen mit besser finanzierten Schulen und entsprechend moderner technischer Ausstattung zu den erfolgreichsten der Welt und selbst Schwellenländer wie die Türkei und Thailand sind weiter als wir.

Wir müssen schnell und unbürokratisch handeln

Und wie sieht es in Deutschland aus? Der aktuelle Koalitionsvertrag von Union und SPD verspricht keine Hoffnung: Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bleibt bestehen. Der Bund stellt den Ländern in den nächsten fünf Jahren fünf Milliarden Euro für digitale Bildung zur Verfügung. Davon 3,5 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode. Allerdings ist dieses Geld an Bedingungen geknüpft, wie die Schulung der Lehrkräfte und die Gewährleistung einer entsprechenden Infrastruktur. Also, ohne Vorleistung kein Geld und ohne Geld keine Ausstattung und Fortbildung. Aus meiner Sicht ein Teufelskreis, den Bund, Länder und Kommunen nur schwer durchbrechen werden können.

Daher ist mein Vorschlag, dieses Geld möglichst schnell und unbürokratisch direkt den Schulen zur Verfügung zu stellen. Und zwar einen Teil unmittelbar für ein paar Pilotschulen, die verschiedene Dinge testen (Programmieren als Fach vs. Querschnittsdisziplin, Bring Your Own Device vs. Geräte der Schule etc.) und nach einem Jahr Bilanz ziehen, welches Modell am besten funktioniert, um es so in allen Schulen ausrollen zu können. Helfen können hier auch außerschulische Initiativen, die es bereits gibt, z.B. Appcamps, Calliope oder die Digitalwerkstätten.

Meine Sorge ist allerdings, dass dieses Geld in den nächsten vier Jahren in Bürokratie und Konzepte fließt, anstatt einfach mal den Mut aufzubringen, Dinge auszutesten und so zu riskieren, eventuell auch Fehler zu machen, dafür aber Erkenntnisse zu gewinnen und voran zu kommen.

Habt keine Scheu, sondern traut euch!

Wenn wir uns also nicht darauf verlassen können, dass unsere Kinder in der Schule auf die Zukunft vorbereitet werden, dann müssen wir wohl selbst ran. Aber auch Eltern fühlen sich häufig hilflos: Welches sind die richtigen Angebote? Wie oft darf, soll, kann mein Kind mit digitalen Medien in Berührung kommen? Es hakt einfach an zu vielen Stellen: Es kann nicht auf die eigene Kindheit referenziert werden, weil vor 30 Jahren Tablets und Co. kein Thema waren. Uns fehlt die Vorstellungskraft, wenn es darum geht, kreativ mit digitalen Medien umzugehen. Stattdessen nutzen wir Tablets als Beschäftigung für unsere Kinder, wenn wir mal keine Zeit haben und beschweren uns nachher, dass sie nur „daddeln“. Es fehlt schlicht und ergreifend an Angeboten, die auch die Eltern an die Hand nehmen und Beispiele zeigen.

Daher ist meine Forderung heute an euch, liebe Eltern: Nehmt das Thema ernst. Setzt euch mit den Angeboten auseinander, sucht Gleichgesinnte und vor allem: Probiert gemeinsam mit euren Kindern Dinge aus! Habt keine Scheu, sondern traut euch! Und wir versuchen, euch bestmöglich dabei zu begleiten – schaut einfach mal bei uns vorbei.

Antonia Borek

Seit September 2016 ist Antonia unsere Geschäftsleiterin. Ihre berufliche Leidenschaft gilt der digitalen Bildung von Kindern. Hier möchte sie einen Paradigmenwechsel in Deutschland anstoßen und digitale Lehrinhalte schnell und unbürokratisch in unsere Schulen bringen. Mit dem Verein Digitale Bildung für Alle e.V. engagiert sie sich zudem dafür, dass jedes Kind unabhängig von Elternhaus und Bildungshintergrund Zugang zu digitaler Bildung erhält.